Silvester lässt man es krachen. Die einen freuen sich darauf, andere mögen es gar nicht. Jeder, der ein Zuhause hat, kann es sich aussuchen. Menschen, die auf der Straße leben, können es nicht. Für sie ist Silvester eine der gefährlichsten Nächte: Wegen der Böller, wegen der Raketen. Die Angst vor Silvester konnte ich aus vielen Gesprächen der letzten Woche heraushören.
In dieser Nacht ziehen Massen alkoholisierter Gruppen durch die Straßen. Die leichtesten Opfer sind die, die auf dem Boden liegen. Von blöden Späßen bis zu brutalen Angriffen. Jeder, der auf der Straße lebt, kann eine Geschichte davon erzählen.
Angst vor Silvester
Ich bin nicht mehr draußen. Ich kann es mir jetzt aussuchen. Ich werde es ruhig angehen lassen. In diesem Jahr ist viel passiert. Ich hab seit meiner Zeit als Straßenjunge noch nie solange an einem Ort gelebt wie in meiner jetzigen Wohnung. Ich brauche Zeit, mir ein Zuhause zu schaffen. Ich habe ein Jahrzehnt aus einer schwarzen Sporttasche gelebt. Heute hier und morgen da.
Bis heute habe ich keinen Kleiderschrank. Ich bewahre meine Kleidung weiter in Taschen auf. Ich habe ein Bett, doch es ist nicht ganz aufgebaut. Ich schlafe auf der Matratze gut. Viele Nächte verbrachte ich im Schlafsack. Selbst die Schuhe behielt ich an, über die ich Plastiktüten zog, damit ich nichts dreckig machte. Ich werde das nie vergessen und darum ist der größte Luxus, mit Boxershorts im Bett zu liegen. Manchmal bemerke ich, wie ich aus Reflex meine Kapuze im Bett über den Kopf gezogen habe. Draußen war die Kapuze mein Dach.
2018 – ich habe wieder Hoffnung
Ich bin noch nicht angekommen. Die Straße ist im Kopf.
Trotzdem geht es voran. Ich habe zum ersten Mal eine echte Arbeit. Ich konnte ein Bankkonto eröffnen. Ich habe noch den Kontoauszug von meinem ersten Gehalt, das ich überwiesen bekommen habe. Ich habe einen Job in der Schule, mit dem ich meinen Lebensunterhalt bestreite. Einen zweiten, mit dem ich durch Schreiben die Miete ausgleiche und einen dritten Job auf der Baustelle, der meine Krankenversicherung zahlt. Es geht manchmal zwei Schritte vor und einen zurück, doch ich bin stolz darauf, was ich es das ganze Jahr geschafft habe. Ich bin dankbar. Die Türen gehen für mich immer weiter auf, ich werde alles tun damit sie sich auch für andere öffnen.
Es gab eine Zeit, da hatte ich die Hoffnung verloren. Jetzt freue ich mich schon auf das nächste Jahr und was es mit sich bringt. Das Wichtigste ist: Glaub’ an dich. Dann klappt es mit den guten Vorsätzen. Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch!