Der letzte Pirat von Key West

Der letzte Pirat von Key West - Ankerherz Verlag

Key West, ganz am Ende der Florida Keys, am westlichsten Zipfel Amerikas, wo Havanna näher ist als Miami. Im Hafen, wo die Fischer und die Ausflugsboote ablegen, spürt man noch das alte Erbe der Stadt. Heute kommen viele Touristen und die Passagiere der Kreuzfahrtschiffe. Früher war es die Stadt von Ernest Hemingway und Tennessee Williams und Truman Capote. Ein renitenter Außenposten, der als Leitspruch „one human family“ trägt, die Toleranz für Schwule pflegt und 1982 kurz die Unabhängigkeit von den USA erklärte. Wegen verstärkter Kontrollen der Straßen, die den Einwohnern der Keys missfielen, rief man die „Conch Republic“ aus, die Muschelrepublik. Man erklärte den USA den Krieg, bewaffnet mit Brotstangen, kapitulierte nach 60 Sekunden und forderte eine Milliarde Dollar Aufbauhilfe.

   

Der letzte Pirat von Key West

Es braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, dass Key West einmal ein Piratennest war, und schon gar nicht in der Nähe der „Schooner Wharf Bar“, einer alten Hafenbar. Auf einer Mauer davor sitzt ein Mann, der aussieht wie die Reinkarnation von Long John Silver, selbst der Gehstock passt. Seine Haut ist von Jahrzehnten unter der Sonne der Tropen zu braunem Leder geworden, die Augen stecken hinter Ray Ban, das Haar trägt er zum Zopf. Seine Arme: übersäht mit Tattoos. Der letzte Pirat von Key West.

„Die Tattoos hat ‚Sailor Jerry’ gestochen“, meint der Mann.

„Wirklich, ‚Sailor Jerry’“?

„Ja, damals auf Hawaii. Habe dort früher gelebt, wegen einem Mädchen.“

 

Norman Keith Collins, so der bürgerliche Name von ‚Sailor Jerry“, gilt als einer der legendären Tattoo-Künstler überhaupt. Er arbeitete sein Leben lang als Seemann. Weltbekannt ist der Name durch den Rum. Die Marke gründeten zwei seiner Schüler, einige Zeit nach seinem Tod.

Die Tattoos sind von „Sailor Jerry“, sagt er.

„Sir, wie heißen Sie?“

„Egal, nenn’ mich ‚Shipwreck’, alle nennen mich ‚Shipwreck.“

„Wieso ‚Shipwreck’“?

„Weil ich hier mal ankam und im Hafen auf Grund lief. Jetzt komm’ ich nicht mehr weg.“

Der letzte Pirat von Key West wendet er sich zum Gehen.

„Ich muss los“, meint er, „Zeug erledigen. Nett dich zu sehen.“ Dann humpelt er die Pier hinunter.

 

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