Zuletzt haben wir uns an der Elbe von Hamburg getroffen, an einem warmen Sommertag am Museumshafen Övelgönne. Der Kapitän trug einen Schlapphut, was in der Kombination mit seiner Sonnenbrille an einen alten CIA-Agenten erinnerte, und natürlich war er vor mir da. Er ist immer überpünktlich, weil er findet, das gehört sich so. Er rauchte, wie immer.
Ich fragte ihn wie immer, wie es ihm geht, obwohl ich die Antwort vorher kenne.
„Altersgerecht“, sagte er, winkte ab. „Lass uns über was anderes reden.“
Neben seinen chronischen Leiden, den Herzproblemen, den Rückenschmerzen, den Dingen, die er nicht in der Zeitung lesen will, hat Kapitän Schwandt seit einigen Monaten das „chronische Erschöpfungssyndrom“. Das ist, wie der Name klingt: mies. Man fühlt sich immerzu abgeschlagen und schlapp. Das Quincke-Syndrom, bei dem innerhalb Minuten eine Atemnot einsetzen kann, setzt ihm obendrein zu. Über seinen Zustand prägte Schwandt den Satz: „Das Alter ist ein Arschloch“. Doch lamentieren gilt für ihn nicht. Seine Frau Gerlinde ist eine ehemalige Krankenschwester. Sie habe viel schlimmere Dinge erlebt, Krebs bei Kindern, Krebs bei jungen Müttern. Das sind echte Probleme, findet Schwandt.
Heute wird Kapitän Schwandt 82 Jahre alt.
Ich kenne niemanden, dem es gelingt, mit so viel Würde alt zu sein. Schwandt klagt nie, beschwert sich nicht, und er erträgt alles mit einem Stolz, der ihn auch sonst auszeichnet. Deshalb zog er sich zurück: Er wollte nicht, dass Leute sehen, wie es ihm geht und immerzu danach fragen, wie es ihm geht. Zwei Mal lud ihn SPD-Vizekanzler Olaf Scholz, der ihn nach einem MOPO-Gespräch in der Haifisch Bar kennt, zum Matthiae-Mahl ein, die höchste Ehre für einen Hamburger Bürger. Beide Male lehnte Schwandt dankend ab, obwohl er Kanadas Ministerpräsident Justin Trudeau gerne getroffen hätte. Er mochte so einfach nicht in die Öffentlichkeit.
„Der Tod beschäftigt mich nicht mehr“, sagte Schwandt, als wir vor genau zwei Jahren auf den Aland-Inseln waren. In der Mittsommernacht saßen wir auf den Felsen einer kleinen Leuchtturminseln im Labyrinth der Schären. Wir waren hingefahren, um ein Buch über Inhalt des Lebens zu schreiben. Nicht um Politik sollte es gehen, sondern über den Umgang mit Problemen und auch eigenen Fehlern. Dann wurde er krank.
80, das sei seine „Ziellinie“ gewesen, die Zahl 80 war das, was er schaffen wollte. Dass er noch lebe, sei doch überhaupt ein Wunder, seine Ärzte können es gar nicht fassen. Mit einem Grinsen schnipste er die nächste Marlboro an. Mindestens zwei Packungen seit 64 Jahren – auch das macht ihm kaum einer nach.
Wenn er sich heute manchmal zu Wort meldet, dann deshalb, weil ihn aufregt, was er in der Zeitung liest. Die Art, wie die Debatte über Flüchtlinge geführt wird. Die AfD, Trump, Putin, Seehofer – es macht ihn alles wütend. Er würde gerne viel mehr sagen, doch nun fehlt ihm die Kraft.
Das müssen nun andere übernehmen. Kapitän Schwandt ist in seiner Klarheit für manche ein Vorbild geworden, obwohl er eines nie sein wollte: ein Vorbild.
Wir wünschen Kapitän Schwandt von Herzen alles Gute zum Geburtstag!
Aufgeschrieben von Stefan Kruecken, Verlagsleitung Ankerherz