Olaf Scholz ist neuer Kanzler der Bundesrepublik Deutschland. Wir blicken zurück auf ein Treffen mit Kapitän Jürgen Schwandt in der Hamburger Haifisch Bar, zu einem Zeitpunkt, als es dem Kapitän noch gut ging.
Mein Gespräch mit Olaf Scholz, dem Bürgermeister von Hamburg, hat schöne Wellen geschlagen. Die Hamburger Morgenpost, die das Treffen in der Haifisch Bar arrangierte, machte daraus die Titel-Geschichte ihrer Samstags-Ausgabe.
Knapp eine Stunde dauerte der Termin, und der gute Eindruck, den ich schon vorher von Scholz hatte, bestätigte sich an diesem Nachmittag. Der Bürgermeister hat hanseatische Tugenden: Er sabbelt nicht viel rum, keine Worthülsen, er hat klare Vorstellungen und kann, so scheint mir, auch zuhören, was für einen Berufspolitiker eine besondere Gabe ist. Er hat ja den Ruf, manchmal etwas steif zu wirken und standartisierte Antworten zu geben, wie ein „Scholzomat“.
Den Eindruck hatte ich überhaupt nicht.
Als alter SPD-Wähler und Hamburger bin ich zwiegespalten: Einerseits halte ich Scholz für eine starke Besetzung im Hamburger Rathaus, andererseits würde ich mir wünschen, dass er eine größere Rolle in der Bundespolitik spielt, denn die Partei macht schwere Zeiten durch und braucht einen wie ihn.
Wir haben uns über die Seefahrt unterhalten, über die AfD, Donald Trump, Obdachlose, über Hamburg und Hass im Netz. Natürlich bekam er auch ein Geschenk von mir, meine Biographie „Sturmwarnung.“ MOPO-Redakteurin Stephanie Lamprecht hat das Gespräch wunderbar dokumentiert. Hier einige Auszüge
Käpt’n: Ich will mal mit der christlichen Seefahrt anfangen. Die deutschen Reeder. Als ich das letzte Mal auf einem deutschen Containerschiff gefahren bin, das war vor zwei Jahren, da war der Kapitän aus der Ukraine, der Erste Offizier auch, der Rest der Besatzung kam aus Kiribati und von den Philippinen. Und unser Wirtschaftssenator Horch hat kräftig mitgearbeitet und die Schiffsbesetzungsverordnung geändert. Jetzt müssen nur noch zwei Europäer mitfahren und von denen dürfen die Reeder die Lohnsteuer einbehalten. Sagen Sie mal, ist das nicht höchste Zeit, den deutschen Reedern die Subventionen zu streichen?
Scholz: Naja, unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Dass die Reeder die Lohnsteuer einbehalten dürfen, soll es für sie ja gerade attraktiver machen, deutsche Seeleute zu beschäftigen. Und ein paar weitere Schiffe fahren nun wieder unter deutscher Flagge.
Der MOPO-Fotograf hat seine Bilder im Kasten, packt die Kamera weg. Scholz greift nach einer Cola Light, füllt Eiswürfel in das Glas des Käpt‘ns: „Trinken immer erst, wenn keine Fotos mehr gemacht werden.“ Der Käpt‘n frotzelt: „Sie sind ja ein Medienprofi.“ Scholz trocken: „Die einen sagen so, die anderen so.“
Käpt’n: Ich war ja lange SPD-Mitglied, ich bin immer noch Sozialdemokrat, ich wähl euch immer noch. Nun will ich mal aus der Froschperspektive ein paar Anmerkungen zur SPD machen.
Scholz: Nur zu.
Käpt’n: Die SPD muss mal wieder das S in ihrem Namen in den Vordergrund stellen. Es kann doch nicht sein, dass vier Millionen Menschen nicht von ihrem Lohn leben können. Wir zahlen den Unternehmen die Löhne und die streichen die Gewinne ein. Die Leiharbeiter, die Werkverträge. Das ist doch nicht in Ordnung!
Scholz: Nein, das ist wirklich nicht in Ordnung. Für uns war und ist immer klar: Wer sich anstrengt im Leben, wer Vollzeit arbeitet, soll auch ein Einkommen haben, das mindestens für den Lebensunterhalt reicht. Der Mindestlohn war mir deshalb persönlich immer ein wichtiges Anliegen. Und ich bin froh, dass es ihn jetzt gibt. Die Einführung bedeutete für nicht wenige Arbeitnehmer eine Lohnerhöhung!
Munition für die Rechten
Käpt’n: Ein Schritt in die richtige Richtung… Nun noch mal was zu Hamburg. Ich finde es toll, wie hier die Flüchtlinge aufgenommen wurden. Aber ich engagiere mich auc bei Hintz und Kunzt für Obdachlose. Die werden jedes Frühjahr aus dem Winternotprogramm auf die Straßen gefegt, ohne Alternativen.
Scholz: Das Winternotprogramm bietet einer großen Zahl von obdachlosen Menschen Schutz vor Erfrierung. Und es gibt ein gutes Beratungsangebot für Wohnungslose.
Käpt’n: Ich hätte eine Anmerkung zur Bundespolitik.
Scholz (lachend): Schnaps!
Käpt’n: Wir sind 82 Millionen Menschen und haben zwei Millionen Flüchtlinge. Eigentlich kein Problem. Aber die Bundespolitik hat die Leute alleine gelassen, die Last auf die Bürger abgewälzt und zu spät gesehen, dass das Munition für die Rechten ist.
Scholz: Es ist so, dass der Bund dieses Problem lange unterschätzt hat. Aber jetzt werden überwiegend die richtigen Entscheidungen getroffen. Das Bundesamt für Migration hat weit über tausend zusätzliche Mitarbeiter bekommen. Die Bürger, die vielen freiwilligen Helfer, haben Großartiges geleistet. Aber man muss auch mal sagen: Der öffentliche Dienst hat ebenfalls mit großem Einsatz gearbeitet. Ohne die wäre das auch nicht gelaufen.
Käpt’n: Ich werde auf Facebookzum Teil extrem aggressiv von den Rechten angegangen. Das geht bis hin zu Morddrohungen. In zwei Fällen ist sogar der Staatsschutz dran. Wie sehen Sie das, was da im Netz passiert?
Scholz: Das macht mir Sorgen. Da muss man immer wieder gegenhalten. Ich lasse niemanden damit durchkommen, dass er andere schlecht macht, um sich selbst groß zu fühlen. Die SPD wurde von Leuten gegründet und unterstützt, denen es nicht so gut ging. Aber die haben nicht andere beschimpft, sondern unser demokratisches Gemeinwesen mitbegründet und sich dafür eingesetzt, dass es für alle besser wird.
Ist die AfD verfassungskonform?
Käpt’n: Ich schreibe ja immer wieder gegen die AfD Halten Sie diese Partei für verfassungskonform?
Scholz: Ich werfe die nicht mit der NPD in einen Topf, obwohl natürlich in der AfD Leute sind, die etwa den Holocaust leugnen. Aber ich denke, die Bürger werden selbst merken, dass von denen nichts zu Themen wie Haushalt, Schule, Bundeswehr kommt. Immer nur Ressentiments. Mit denen ist kein Staat zu machen.
Käpt‘n: Rechte Politiker, die einfache Lösungen versprechen, sind ja überall auf dem Vormarsch. Was tun Sie dagegen?
Scholz: Vernünftig mit den Menschen reden. Keine Wunder versprechen, sondern nur das ankündigen, was sich wirklich umsetzen lässt. Viel hängt auch damit zusammen, dass die Wohlstandsentwicklung in den westlichen Industrieländern längst nicht mehr so rasant voranschreitet wie bis Ende der siebziger Jahre. Mal was anderes: Wann haben Sie denn mit der Seefahrt aufgehört?
Käptn: 1971. Wegen der Liebe, wie alle Seefahrer.
Scholz (lacht): Die Liebe ist sowieso der beste Grund für alles.
Schöner Schlusssatz, der offizielle Teil ist zu Ende. Der Bürgermeister und der Käpt‘n geraten ins Plaudern. Der Käpt‘n erzählt launig von seiner Zeit beim Zoll und wie einmal nervöse Schmuggler 2,5 Tonnen Hasch über Bord kippten: „Haben wir alles rausgefischt.“ Dann wird er wieder ernst: „Ich sage Ihnen was: Um die Jugend aus der Kriminalität und der Prostitution zu holen, sollte es das Zeug an jedem Kiosk geben.“
Scholz (wiegt skeptisch den Kopf): „Nee, davon bin ich noch nicht wirklich überzeugt.“
Dann hat der Käpt‘n noch ein Anliegen: „Kommen Sie mal mit raus, ich will Ihnen was zeigen.“ Er weist auf die zwei historischen Kräne, die vor der Haifischbar vor sich hinrosten: „Kann da nicht mal jemand mit ‚nem Pott Farbe ran?“
Scholz: „ ‚N Pott Farbe, das macht der Denkmalschutz nicht mit. Aber ich freue mich sehr, dass wir uns kennen gelernt haben.“ Er guckt kurz zum Mopo-Team und zu seinen Begleitern und wendet sich zum Käpt‘n:
„Vielleicht können wir uns ja auch mal ohne die alle treffen.“
Jürgen Schwandt, Jahrgang 1936, wuchs in Sankt Georg auf. Er fuhr jahrzehntelang zur See und lebt heute in Hamburg. Seine Biographie „Sturmwarnung“ gibt es nun als Hörbuch, hier bei uns im Online Buchladen.