KAPITÄN SCHWANDT: Meine Version der Weihnachtsgeschichte

Es begab sich zu jener Zeit, da ein böser Mann namens Assad Statthalter von Syrien war, dass sich der Zimmermann Joseph mit seinem schwangeren Weibe Maria auf den Weg machte.

Doch es war kein sicheres Land und die Familie begab sich auf die Flucht nach Germanien. Sie heuerten einen des Weges kundigen Schlepper an und entlohnten ihn mit Schaffellen, Widderhörnern und selbstgemachtem Käse. Es wurde eine sehr beschwerliche Reise durch die winterlichen Felder, nur mit Sandalen und einem leichten Tuch bekleidet. An der Grenze zur Provinz Mazedonien wurden sie aufgehalten von einem Zaun aus Nato-Stacheldraht. Da sein Weib nun gebären sollte, verkrochen sie sich in eine Erdhöhle. Maria gebar einen Sohn und nannte ihn Jesus. Mitarbeiter einer UNO-Hilfsorganisation beschafften eine Krippe und Unterkunft in einem Stall, in dem Rind und Esel lebten, damit das Kind nicht erfriere.

Der Dritte König? Ertrunken

Da geschah ein Wunder: ein heller Stern mit dem Schweif eines Kometen erschien über ihnen. Bei näherer Betrachtung handelte es sich um Leuchtspurmunition, die während der Ausschreitungen an der Grenze abgeschossen worden war. Einige Hirten und zwei Könige erschienen im Stall. Sie brachten Myrrhe und Weihrauch mit und erzählten, dass der dritte König während der Überfahrt über das Mittelmeer ertrunken war.

Joseph hatte Angst um seine Familie und bat die Hirten, ihm einen Weg nach Germanien zu weisen. Der Herr hielt seine schützende Hand über sie. An der Grenze zu Germanien stellten sie einen Asylantrag und wurden in einem Erstaufnahmelager, in einer Turnhalle, untergebracht.

„Germanien den Germanen“

Dort herrschten chaotische Zustände, sämtliche Sprachen Babyloniens erzeugten eine Kakophonie von Lauten. Um ihr Kind zu stillen, zog sich Maria ihr Tuch über den Körper. Nach drei langen Monaten wurden sie in einer Flüchtlingsunterkunft in ein bescheidenes Zimmer eingewiesen. Sie atmeten auf und fühlten sich geborgen. Doch wen der Herr liebt, den prüft er.

Eines Nachts wurden sie wach durch Feuer, Rauch und laute Schreie. Das Haus brannte, ein grölender Mob applaudierte und skandierte „Flüchtlinge raus! Germanien den Germanen.“ Joseph fragte einen anderen Heimbewohner, was dies zu bedeuten habe. „Das sind NPD und Pegida“, erklärte man ihm. „Sie sind gegen die Islamisierung des Abendlandes.“

Joseph verstand nicht, was er meinte. In den nächsten Tagen bezog der Sicherheitsdienst „Drei Könige“ eine Wache neben der Unterkunft, und die Familie fühlte sich ein wenig sicherer.

Liebe Leser: Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien ein schönes – und vielleicht auch nachdenkliches – Weihnachtsfest.

 

Jürgen Schwandt, Jahrgang 1936, wuchs in Sankt Georg auf. 

Die Kolumne ist Teil des Buchs KLARE KANTE, das die besten Kolumnen von Kapitän Schwandt sammelt. Überall im Handel und hier bestellen.

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