Die traurigen Seeleute von Kiribati. In einer neuen Folge für den Ankerherz Blog schreibt Seemannsdiakon Fiete Sturm über das traurige Los der Matrosen aus der Südsee. Sie kommen in der Corona-Pandemie einfach nicht nach Hause…
Ich möchte mit einem Gedankenspiel starten.
Stell Dir vor, du arbeitest neun Monate im Jahr im Ausland. Auf der anderen Seite der Erde. Du kennst die Kultur nicht wirklich, weil du nicht nur auf der Arbeit deiner Tätigkeit nachgehst, sondern dort auch lebst, isst und schläfst. Deine einzigen Sozialkontakte sind deine Kollegen und gelegentliche E-Mails und Videotelefonate mit der Familie. Nach dieser langen Zeit der Trennung machst du zwei Monate Urlaub in der Heimat. Dann geht es auch schon wieder los. Deine Familie ist auf dein Einkommen angewiesen.
Und dann wird die Welt von der Corona-Pandemie heimgesucht.
Die Seeleute von Kiribati
Dein Arbeitgeber verbietet dir, selbst zum noch so kurzen Einkauf oder für einen schnellen Kaffee deinen Arbeitsplatz zu verlassen. Damit du dich und deine Kollegen nicht anstecken kannst. Du schränkst dich noch mehr als sonst ein, fühlst dich allein und verunsichert. Allein der Gedanke am Ende deiner Vertragszeit wieder nach Hause zu kommen, hält dich über Wasser.
Und dann, kurz vorm Flug zurück zu deiner Familie, kommt die Nachricht, dass dein Land die Grenzen schließt. Selbst die eigenen Bürger dürfen nicht mehr einreisen. Aus Angst, dass sich das Virus verbreiten könnte.
Weil dein Platz auf der Arbeit von deiner Ablösung in Anspruch genommen wird, wirst du mit den anderen Kollegen in eine soziale Einrichtung gebracht, in der man deine Sprache nicht spricht, deine Essgewohnheiten nicht kennt und deine Kultur nicht versteht. Die Leute dort sind nett und bemüht, aber sie ersetzen natürlich nicht deine Familie.
Dein Heimatland macht die Grenzen dicht
Schließlich, nach über drei Monaten, bekommst du die Nachricht, dass du bald nach Hause kannst. Du steigst in den Flieger und freust dich. Du sollst beim Umsteigen noch zwei Wochen in Quarantäne. Nach all der Zeit ist das für dich ein Zuckerschlecken, denkst du dir. Doch dann der Schock: Kurz bevor es endlich nach Hause geht, kommt die Nachricht, dass dein Land schon wieder dicht gemacht hat.
Dieses Mal gibt es kaum noch Menschen, die sich um dich kümmern. Du darfst die Unterkunft nicht mehr verlassen. Ihr wisst nicht, wie und wann es weiter geht. Deine Familie ruft ständig an, aber du weißt nicht mehr, was du ihnen sagen sollst. Darum bleibt dein Handy die meiste Zeit des Tages ausgeschaltet. Ihr habt kaum Platz und um die Langeweile zu bekämpfen, spielt ihr Grundschulspiele. Irgendwann kommt dann der Anruf, der dich wissen lässt, dass deine Ehe am Ende ist.
Gefangen auf Fidschi
Diese Situation, in die ich euch hier mitnehme, ist real.
Noch immer sitzen Seeleute von Kiribati in der Pandemie fest. Selbst von den 120 Seeleuten, die meine Kollegen und ich Anfang des Jahres betreut haben, sind nicht alle zurück in ihre pazifische Heimat gekommen. Knapp 40 von ihnen sitzen mit über 100 anderen Landsleuten auf Fidschi fest in Quarantäne. Da ihre Verträge ausgelaufen sind, gibt es keinen Lohn mehr und gerade jetzt hat Regierung von Kiribati noch mal angekündigt, dass sie die Einreise dieses Jahr wohl nicht mehr ermöglichen wird.
In diesem Video mit dem Generalsekretär der ICMA (International Christian Maritime Association), Jason Zuidema, und meinem Kollegen, Seemannspastor Matthias Ristau – könnt ihr selbst verfolgen, wie die kiribarischen Seeleute Kapitän Tekemau Kiraua, Bwebwenibeia, Nomira und Temware ihre Situation schildern.
Auch in unserem Seemannsheim in Hamburg-Altona erlebe ich täglich, wie unsere Gruppe aus Kiribati unter der Situation leidet. Zwei Crews, 20 kiribatische Seeleute, werden wohl auch die nächsten Monate bei uns verbringen müssen. Wenn ich mich mit ihnen unterhalte, versuchen sie den Kopf nicht hängen zu lassen. Sie berichten aber auch betrübt von ihren großen Sorgen.
Eine Lage, die Kraft kostet
Wir organisieren Ausflüge, bieten sportliche Aktivitäten an und kommen der Bitte nach Andachten und Beichtgesprächen mit unseren katholischen Kollegen gerne nach. Am Ende des Tages kann all das aber nur ein (viel zu kleines) Trostpflaster sein. Allein die Rückkehr in die Heimat kann das Leiden lindern. Aber wenn nicht noch ein kleines Wunder geschieht, wird es dieses Jahr nicht mehr dazu kommen.
Dabei erlebe ich, wie es mir selbst und auch meinen Kollegen mehr und mehr Kraft kostet, diese Situation aufzufangen. Wir versuchen aber positiv gestimmt zu bleiben. Nicht zuletzt um „unserer“ Kiribati willen aber auch um selbst nicht verzagen.
aus dem Hamburger Hafen,
Euer Fiete Sturm
Übrigens: Wer uns unterstützen möchte, kann dies gerne mit Spenden tun: www.seemannsmission-altona.orgAber auch Sachspenden sind immer willkommen. Sportgeräte sind hier aktuell besonders gefragt. Falls jemand aus dem Hamburger Raum besondere Arten der Freizeitgestaltung anbieten kann (Hafenrundfahrten etc.) wäre ich auch sehr dankbar für eine Mail oder einen Anruf!