Notfallseelsorge im Hafen. Seeleute haben einen harten Beruf. Wenn sie einen Unfall oder einen Tod miterlebt haben, brauchen sie Hilfe. Dann ist in Hamburg unter anderem Fiete Sturm und sein Team für sie da. Eine neue Kolumne des Seemannsdiakons von Hamburg-Altona.
Moin!
Ich habe euch in der Vergangenheit ja schon das ein oder andere Mal von der Arbeit der Deutschen Seemannsmission e.V. berichtet. Wie meine Kollegen und ich uns um Seeleute kümmern. Egal ob im Seemannsheim oder im Club, egal ob an Bord oder über Onlinechat und Telefon. Unsere Arbeit ist ziemlich vielschichtig und wir setzen uns auch kirchlich, politisch und gesellschaftlich für die Belange von Seeleuten aus aller Welt ein.
Aber ein Bereich ist noch recht neu: Die professionelle Notfallseelsorge.
Dabei gibt es die sogenannte „Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen“ (SbE) schon länger. Nach extremen Situationen wie Unfällen mit schweren Verletzungen oder Toten, Gewalterfahrungen usw. gibt es bundesweit Notfallseelsorger, die sich um die Opfer kümmern. Aber ebenso gibt es Menschen, die sich um die Einsatzkräfte wie Polizei, Sanitäter und Feuerwehrleute sorgen. Denn die Retter sind oft selbst von den schweren Eindrücken bei den Einsätzen betroffen.
Notfallseelsorge für die Seeleute
Seeleute sind hier eine besondere Gruppe. Sie sind meistens Betroffene und Retter zugleich. An Bord eines 400m langen Frachters gibt es keine Feuerwehr und die Polizei kann bei Piratenangriffen auch nicht eben mal fix an Bord. Die Seeleute müssen sich selbst helfen.
Darum richten wir als Seemannsmission seit gut zwei Jahren ein Notfallseelsorgenetzwerk in den deutschen Häfen (und den DSM Auslandsstationen) ein, um den Schiffsbesatzungen nach traumatischen Erlebnissen professionell Hilfe zu leisten. Dazu lassen wir uns ausbilden und passen die bewährten Methoden auf die Arbeits- und Lebensumstände von Seeleuten an.
Diese schweren Erlebnisse können dabei sehr unterschiedlich aussehen. Kollegen berichten regelmäßig davon: Es kann damit beginnen, dass die die Gangway nicht sicher befestigt ist und ein Matrose fast ins Wasser gefallen wäre oder ein Tau reißt, über Deck peitscht und nur knapp ein Crewmitglied verfehlt. Allein schon diese Beinaheunfälle können einen aus der Bahn werfen. Aber auch schwere Verletzungen oder Todesfälle an Bord sind keine Seltenheit. Container, die sich aus der Verankerung reißen, Stürze, Verbrennungen und Verätzungen. Das alles sind reale Gefahren an Bord eines Schiffes.
Piratenangriffe. Ertrinkende
In der Coronapandemie wurden Kollegen auch an Bord von Kreuzfahrtschiffen bei psychischen Problemen bis hin zu einem Selbstmord tätig. Seeleute berichteten meinem Kollegen der Hamburger Bordbetreuung anschaulich von einem Piratenangriff (inklusive der unübersehbaren Einschusslöchern in der Bordwand). Und ich selbst habe mehr als ein Gespräch über verstörende Erlebnisse mit Flüchtlingen im Mittelmeer geführt.
Zuhören, ein gemeinsames Gebet sprechen, einfach da sein.
All das kann schon helfen. Aber seit ich selbst die ersten beiden Teile der SbE Notfallseelsorgeausbildung abgeschlossen habe, habe ich für solche Fälle noch mal einen deutlich besseren „Werkzeugkasten“ an der Hand, fühle mich selbstsicherer und besser gerüstet, um helfen zu können.
Wenn Dir jemand mit gebrochener Stimme und Tränen in den Augen erzählt, wie vor seinen Augen Menschen ertrunken sind, ohne dass er helfen konnte, dann wird dir klar, dass er diese Erlebnisse nicht allein verarbeiten kann.
Aus dem Hamburger Hafen,
euer Fiete Sturm