In Stefans Geschichten vom Meer geht es in dieser Folge um ein düsteres Geheimnis. Hinter dem Untergang des Frachters „Raptor“ vor der griechischen Küste, der 13 Seeleute das Leben kostete, steckt weit mehr, als man bislang annahm. Geht es um internationalen Waffenschmuggel?
Der Sturm tobt unablässig und der kleine Frachter Raptor meldet einen schweren Wassereinbruch. Ausfall der Maschine! Nun ist das Schiff nur noch ein Spielzeug der Wellen. Es ist Sonntagvormittag, kurz nach acht Uhr, als vor der Insel Lesbos eine Rettungsaktion der griechischen Coast Guard startet.
13 Seeleute sind an Bord der „Raptor“ (englisch: „Raubvogel“). Nur einer soll das Unglück überleben. Er kommt mit starken Unterkühlungen in ein Krankenhaus.
Ein düsteres Geheimnis
Was sich am vergangenen Wochenende in der Ägäis ereignete, klang zunächst „nur“ wie ein Drama, das beweist, wie gefährlich die Seefahrt auch heute noch ist. Doch vermutlich steckt hinter dem Untergang noch viel mehr.
Der schwer verletzte Überlebende berichtet von einem wahren Krimi auf See. Demnach hat der Kapitän erst ein „Mayday“ abgesetzt, als die Lage für Schiff und Crew bereits aussichtslos war. Auf keinen Fall dürfte Hilfe von außen angenommen werden, beschwor er in den Stunden vor dem Untergang seine Offiziere. Niemand dürfe an Bord.
Was die „Raptor“ ein Schmugglerschiff?
Warum nicht? Weil etwas anderes in den Laderäumen war als 6000 Tonnen Salz, wie in den Papieren angegeben? Frachter Raptor, 106 Meter unter der Flagge der Komoren, steht seit einiger Zeit auf einer Art „schwarzen Liste“ der Seeverkehrsbehörden. Dutzende Mängel und Unregelmäßigkeiten wurden moniert, vor allem Manipulationen am sogenannten „Öl-Tagebuch“.
Darin muss der Chef der Maschine, der „Chief“, dokumentieren, welche Tanks wann mit welcher Menge Treibstoff befüllt waren. Anhand dieser Angaben lässt sich rekonstruieren, wie viele Seemeilen ein Schiff tatsächlich zurückgelegt hat, auch wenn der Kapitän das vorgeschriebene Ortungssystem AIS ausschaltete. Verdacht: Die „Raptor“ ist ein Schmugglerschiff.
13 Seeleute bezahlten den höchsten Preis
So soll der einzige Überlebende des Untergangs ausgesagt haben, dass der offizielle Zielhafen Istanbul nur ein Zwischenstopp war. Alle Angaben zur Route waren demnach frisiert. In Wahrheit sollte die Reise in einen Hafen der Ukraine gehen, in einen Landesteil, der von russischen Invasionstruppen besetzt wird.
Was bedeuten würde, dass sich ganz bestimmt mehr als Salz in den Laderäumen befindet. Etwa Waffen für Putins Ukraine-Krieg? Oder Munition? Das Schiff, 39 Jahre alt, gehört einer Firma in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria, die es einer lybischen Reederei abkaufte.
13 Seeleute sind im Sturm auf der Ägäis ertrunken. Ob sich der Überlebende mit seinen Aussagen als Zeuge in Gefahr gebracht ist, das ist eine weitere Frage. Das Wrack liegt in knapp zweihundert Metern Tiefe auf Grund.
Einfach wird es nicht, das Geheimnis der „Raptor“ zu lüften.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein Buch: „Muss das Boot abkönnen“.