Der Saal der Galionsfiguren. Jede Woche schreibt Ankerherz-Verlagsleiter Stefan Kruecken eine Geschichte vom Meer, die auch in der Hamburger Morgenpost erscheint. Diesmal geht es um den Saal der Galionsfiguren in Hamburg- Altona.
Unser Hamburg ist ein Hafen für viele große und kleine maritime Schätze. Die Rickmer Rickmers, die Cap San Diego, der alte Frachter Bleichen, kleinere Schätzchen wie der „Hafendockter“ oder Dampfeisbrecher Stettin. Natürlich das neue Wahrzeichen, die Peking. Doch es gibt einen besonderen Ort, einen versteckten Schatz, den ich allen empfehle, obwohl er nicht mal ein Fenster hat.
Den Saal der Galionsfiguren im Altonaer Museum erinnert an das Innere eines alten Schiffsbugs. Vor dunklen Planken hängen 40 Galionsfiguren. Es ist die größte Sammlung dieser Art in Deutschland.
Saal der Galionsfiguren
Ich mag diesen Saal, wegen der Atmosphäre, die auch ein wenig an eine Seefahrerkirche erinnert, und vor allem wegen der Geschichten, die hier erzählt werden. Galionsfiguren sind so romantisch, weil sie praktisch nutzlos sind. Sie sollten einfach das Schiff schöner machen. Sie gaben den Seeleuten den Glauben, mit einer schützenden Kraft unterwegs zu sein.
In früheren Zeiten bedeutete Seefahrt, dass niemand sagen konnte, wann und ob ein Segelschiff überhaupt im Hafen ankam. Stürme waren gefürchtet. Galionsfiguren hatten also eine wichtige Aufgabe: Sie behielten die See im Auge, so zumindest glaubten die Seeleute. Wenn eine weibliche Galionsfigur den Busen blitzen ließ, hatte dies angeblich beruhigende Wirkung auf die Wellen.
Wurde eine Galionsfigur beschädigt, sorgte die Crew für eine schnelle Reparatur. Es gibt Berichte, nach denen die Seeleute unter Einsatz ihres Lebens Figuren, die sich aus der Verankerung gelöst hatten, aus der See fischten. Sank ein Schiff, erfolgte die Bergung der Galionsfigur gleich nach der Rettung der Crew.
Ohne eine Galionsfigur in See zu gehen? Das war für Seeleute einst wie Auslaufen am Freitag, den 13ten: absolut unmöglich. Wer so handelte, segelte geradewegs ins Unglück. Mit Schiffen aus Stahl, die von Dampfmaschinen angetrieben wurden, endete das Zeitalter der Galionsfiguren. Die Seeleute hatten im Kampf mit den Elementen nun Maschinen auf ihrer Seite, nicht mehr den Aberglauben.
So viele Geheimnisse
Zu den spektakulärsten Galionsfiguren im Saal von Altona gehört eine barbusige Mythenfigur namens Leda, die mit stierem Blick die See einschüchtert. Der „Seemann“, ein Matrose mit Backenbart, wurde nach einem Sturm an der Westküste von Nordjütland angespült. Markant ist ein Indianer mit verschränkten Armen, der vermutlich aber kein Schiff beschützte, sondern für den Kunstmarkt geschnitzt wurde.
In unserem Verlagsgebäude im Süden von Hamburg, dem Alten Tanzsaal des Dorfes Hollenstedt, wacht auch eine Galionsfigur an einem Pfeiler. Ein Kaufmann mit rotem Vollbart, vermutlich aus dem 19ten Jahrhundert, vermutlich von einem englischen Schiff. Wir haben ihn eine Zeitlang „Westermann“ genannt, nach dem HSV-Innenverteidiger, der ihm ähnlich sah und ähnlich antrittsschnell war.
Bislang, das muss ich sagen, hat Westermann seinen Job ordentlich erledigt.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Vor kurzem erschien sein neues Buch „Kapitäne!“