Kanonenboote vor Jersey. Stefans Geschichte vom Meer handelt heute von einem Konflikt, der wirkt, als sei er aus dem Jahr 1811. Doch der Streit zwischen England, Frankreich und der Insel Jersey, in dem sogar Kanonenboote eine Rolle spielen, spielt im Mai 2021.
Irgendwann während der Corona-Monate stieß ich auf die TV-Serie „Hornblower“. Sie spielt während der Zeit Napoleons und zeigt den Weg eines Seeoffiziers namens Horatio Hornblower zum Admiral. Viel Säbelklirren, jede Menge Kanonengeböller und die Rollen sind übersichtlich verteilt: die gute Royal Navy gegen den bösen Rest der Welt. Vor allem Franzosen, an Bord bevorzugt „Froschfresser“ genannt, sind hinterlistig und schrecken vor nichts zurück.
Ich habe die Serie nicht zu Ende gesehen, mich aber in dieser Woche an nationalistischen Stumpfsinn erinnert. Was sich die Regierungen von England, Frankreich und die Inselverwaltung von Jersey leisteten, erinnert an das Drehbuch von Hornblower, Anno 1811.
In der Realität des Mai 2021 wirkt dies vor allem: peinlich.
Kriegsschiffe und Kutter vor Jersey
Es geht um Fischereirechte, es geht um den Brexit, es geht um alte Ressentiments. Jersey verwaltet sich selbst, steht aber unter dem Schutz der Krone und liegt in der Bucht von St. Malo. Ein wirklich schönes Stück Land im Meer, mit steilen Klippen, britischen Pubs und französischer Küche.
Weniger schön ist der Umstand, dass die Asozialen der internationalen Finanzwelt hier dank ihrer Briefkästen viele Milliarden Steuern sparen, doch das ist ein anderes Thema.
French trawler crews angry at post-Brexit restrictions on their access to British fishing grounds sailed in a flotilla to the British Channel island of Jersey to register their protest https://t.co/UL2I7zBvgD pic.twitter.com/Ge8ZVwEmOf
— Reuters (@Reuters) May 6, 2021
Zum Streit kam es, als die Inselverwaltung Dutzenden französischen Fischern Fanglizenzen verweigerte. Die Franzosen, die seit Jahrhunderten die Netze in den Gewässern um Jersey auswerfen, waren entsprechend bedient. Die Fischereiministerin drohte sogar damit, der Insel als letztes Druckmittel den Strom zu kappen. Knapp 50 Trawler machten sich auf, um die Hafeneinfahrt von Saint Helier zu blockieren. Die Fischer entrollten auf See Transparente und entzündeten Bengalos.
Was Englands Premierminister Boris Johnson kurz vor einer wichtigen Regionalwahl zum Anlass nahm, zwei Kanonenboote zu entsenden. Es handele sich um eine „rein präventive Maßnahme“, wie es aus Downing Street 10 hieß. Ernsthaft: England schickte Kanonenboote Richtung Frankreich, im Mai 2021. Worauf die Regierung in Paris ebenfalls zwei Patrouillenschiffe nach Jersey beorderte. Großbritanniens Boulevardpresse rief schon den „Fischkrieg“ aus.
Die bösen Geister leben noch
Während ich die Kolumne schreibe, hat sich die Lage wieder beruhigt. Die Kutter sind zurück im Hafen, die Kriegsschiffe auf Heimatkurs. Vielleicht haben sich die Politiker in London, Paris und Saint Helier darüber erschreckt, wie schnell Dinge eskalieren können. In jedem Fall zeigt der Fall eines: Wie wichtig die Europäische Union ist, aus der die AfD laut des gefährlichen Unfugs, den sie „Wahlkampfprogramm“ nennt, austreten möchte.
Der Streit vor Jersey zeigt: Manche bösen Geister leben heute versteckt. Doch sie leben immer noch.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Vor kurzem erschien sein neues Buch „Helden der See!“