Die Meuterei auf dem Humber. In einer neuen Folge von Stefans Geschichten vom Meer geht es um Massenentlassungen bei der britischen Reederei P&O. Um Methoden wie im Frühkapitalismus und um einen Kapitän, der sich im Hafen von Hull wehrte.
Der Arschtritt erreichte die Crews der Fähren in einer Videokonferenz. „Heute ist Ihr letzter Arbeitstag“, teilte ein Manager den geschockten Mitarbeitern mit. Ein spontanes Farewell ohne „Thank you“ für 800 Angestellte der Fährgesellschaft P&O. Methoden des Frühkapitalismus, heute über Zoom.
Zumindest für die englischen Mitarbeiter. Französische Kollegen sind nicht betroffen, weil sie vom Arbeitsrecht in der EU geschützt sind. Vielleicht war der Brexit doch keine so gute Idee?
Wütende Gewerkschafter
Gewerkschaftsvertreter reagierten wütend. Sie gehen davon aus, dass die gefeuerten Engländer durch billige Arbeitskräfte aus Osteuropa ersetzt werden. In britischen Medien zeigte man, wie Crews von vermummten Sicherheitsleuten an Land eskortiert wurden.
Auch die englische Regierung von Premierminister Boris Johnson verurteilte die Massenentlassungen, über die sie vorab nicht informiert gewesen sei. Oppositionsführer Keir Starmer (Labour) sprach von „Verrat“ und eine Art und Weise, die sein „Blut kochen lasse“. Politiker aller Parteien forderten P&O auf, jene Millionen zurückzuzahlen, die der Konzern als Corona-Unterstützung erhalten habe.
Meuterei auf dem Humber
Das Unternehmen, deren Muttergesellschaft in Dubai sitzt, rechtfertigt den Schritt mit jahrelangen Verlusten in Höhe von 100 Millionen Pfund. Man müsse den Rest des Unternehmens schützen. Fakt ist: Der Mutterkonzern schloss den ersten Teil des Geschäftsjahres 2021 mit einem Gewinn von 475 Millionen Dollar ab.
In den Häfen von Hull und Dover kam es zu einem mittleren Chaos durch gestrandete Reisende und lange Staus von Lastwagen. Man rate allen Passagieren, in den nächsten Tagen auf andere Fähren auszuweichen, hieß es lapidar. Den Hinweis kann man sich schenken, denn auf Facebook und Twitter kündigten tausende an, fortan lieber rudern oder schwimmen zu wollen, als jemals wieder einen Fuß auf ein Schiff von P&O zu setzen.
Der Stolz von Hull
Die Crew der Fähre „The Pride of Hull“ verschanzte sich aus Protest vorübergehend an Bord ihres Schiffes. Kapitän Eugene Favier, ein Niederländer, ließ die Gangway einholen. Er weigerte sich, Polizisten und Security an Bord zu lassen und begründete dies mit Sicherheitsbedenken und dem Seerecht. In einer Ansprache vor seiner 140köpfigen Besatzung sagte er, dass man ausreichend Proviant an Bord, um eine lange Blockade durchzustehen.
Er verließ dann aber doch das Schiff, um auf dem King George Dock direkt mit Vertretern von P&O zu verhandeln. Nachdem „der Held“ (Mirror) mit schriftlichen Zugeständnissen zurückkehrte, ging seine Crew von Bord. Ein Gewerkschaftsvertreter sagte, er habe gestandene Seeleute auf der Pier weinen sehen.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet den Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Zuletzt erschien das Buch „Überleben im Sturm“ über die Retter der RNLI.