Um eine Monsterwelle geht es in der aktuellen Folge von Stefans Geschichten vom Meer. 21 Meter hoch, gemessen im Sturm Ciarán vor der Bretagne. Eine Gefahr für jedes Schiff…
Der Sturm trug schon einen bedrohlichen Namen, der klang wie ein finsterer Fürst in einem Historiendrama. Ciarán, aus dem Irischen, eine Ableitung von „ciar“, was „dunkel“ meint. Mit Windgeschwindigkeiten von knapp 200 Stundenkilometern zog der Orkan über die französische Atlantikküste, Englands Süden und die Kanalinseln.
Was zurückblieb, waren mindestens sieben Tote in Nordeuropa, schwere Verwüstungen unter anderem auf Jersey und eine Messung, die mir nicht aus dem Kopf geht. Vor dem Departement Finistère, also vor dem westlichsten Zipfel der Bretagne, wurde eine 21 Meter hohe Monterwelle gemessen. Wirklich: 21 Meter.
Monsterwelle vor der Bretagne
Eine ganze Menge Schiffe waren trotz des Sturms im Seegebiet unterwegs, wie AIS-Daten zeigen. Frachter und Tanker, die nach Westen liefen, waren langsamer Fahrt unterwegs. „Sturm abreiten“, nennen das die Seeleute, Bug in den Wind und etwas versetzt die Wellen anlaufen, mit einem Tempo, das den Pott steuerfähig hält, dem Wind aber so wenig Angriffsfläche wie möglich bietet.
Knapp vierzig Frachter suchten Schutz in der der Bucht nahe des Städtchens Barfleur (HIER stellen wir Euch diesen schönen Flecken am Meer vor). Aufgereiht wie an mehrere Perlenschnüren wetterten sie hinter einer Landzunge ab. Vermutlich war das die angenehmste Art, mit Ciarán fertig zu werden.
Eine Monsterwelle von 21 Metern Höhe wäre einst als Seemannsgarn abgetan worden. Wer soll das denn glauben? Erst im späten 20. Jahrhundert begannen Wissenschaftler, die Berichte der Seeleute ernst zu nehmen. Einige Katastrophen führt man heute auf Monsterwellen zurück, wie etwa den Untergang des Hamburger Lashcarriers „München“ von Hapag-Lloyd, der im Dezember 1978 auf dem Atlantik sank. Die Crew funkte noch ein „Mayday“ – da war der Frachter schon gesunken.
Früher als Seemannsgarn abgetan
Die größte Welle, die wissenschaftlich nachgewiesen ist, maß man auf der norwegischen Ölplattform Draupner E in der Neujahrsnacht 1995. 26 Meter war sie hoch. Eine Theorie besagt, dass diese gewaltige Welle weiterlief und vor der Insel Borkum den Seenotrettungskreuzer Alfried Krupp zum Kentern brachte. Zwei Seenotretter, beide Familienväter, starben in dieser Nacht.
Das Problem mit Wellen jenseits einer Höhe von 16,5 Meter ist, dass sie im Konzept der Seefahrt nicht vorgesehen sind. Schiffbauer arbeiten mit der Annahme, dass Wellen maximal 15 Meter hoch werden können. Einen Meter Sicherheitsaufschlag gibt es obendrauf, aber dann ist Schluss. Für mehr sind Schiffe nicht ausgelegt.
Was aber macht ein Kapitän, wenn die Welle höher kommt? Dann braucht es viel seemännisches Können und eine gehörige Portion Glück. Und ganz bestimmt auch ein Gebet.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag. Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland. Gerade erschien sein neues Buch: „Muss das Boot abkönnen“.