Transatlantik durch den Sturm. Jeden Samstag schreibt Ankerherz-Verlagsleiter Stefan Kruecken eine Geschichte vom Meer für die Hamburger Morgenpost. Diesmal geht es um eine Reise von Hamburg nach New York.
Seit vier Tagen gab es Sturm ohne Unterlass, doch die Queen Mary2 pflügte immer weiter nach Westen. In Hamburg waren wir ausgelaufen und nach einem kurzen Zwischenstopp am Ocean Pier Southampton abgelegt, mit Ziel New York. Die Wetterkarte leuchtete in Signalfarben, und es war klar, dass es eine ruppige Transatlantik-Passage werden würde. Mit Wind nicht unter acht Beaufort; in einer Nacht maß die Brücke sogar Orkanstärke 12.
Wenn die Decks nicht gesperrt waren, stand ich stundenlang draußen und beobachtete die Wellen. Eine Welt aus Blau und Grau und weißen Kronen, so bedrohlich und heimelig zugleich. Es gibt keinen Ort, an dem man sich so klein und unbedeutend vorkommt wie auf dem Nordatlantik im Sturm. Ich genoss jeden Moment. Wenn es dämmerte, stolperte ich durchgefroren in den „Golden Lion Pub“ auf Deck 2, um mich mit einem Scotch aufzuwärmen.
Transatlantik durch den Sturm
Eine Schiffsreise über den Atlantik hat eine eigene Magie, besonders in diesem Wetter. Jedes Zeitgefühl verschwimmt nach dem zweiten Tag auf See. Ruhe, Weite, die Majestät des Ozeans, kein Handyempfang, keine E-Mails. Ein Buch, ein Drink, diese Wellen. Die lange Dünung wiegt einen in den Schlaf.
Die Küste von Neufundland kam näher. Es war Vormittag, als der Kapitän eine Durchsage machte. Wir passierten 41° 43′ 55“ N, 49° 56′ 45“ W, den Ort, an dem die Titanic auf dem Grund des Ozeans liegt. Er bat um eine Schweigeminute für die 1495 Opfer der Katastrophe. Alles Leben an Bord erstarrte aus Respekt.
Einige Stunden später meldete sich der Kapitän wieder. Er wies darauf hin, dass wir das Seegebiet Flemish Cap erreicht hatten, ein ergiebiges, aber auch gefürchtetes Fanggebiet. Er erzählte vom Schicksal der „Andrea Gail“. Im Oktober 1991 war der Seitenfänger aus Gloucester in eine Mischung aus Hurrikan, Zyklon und arktischer Kaltfront geraten, die Meteorologen den „perfekten Sturm“ tauften. Die sechs Fischer hatten keine Chance, dieses Inferno zu überleben.
Von Hollywood verfilmt
Dass ihre Geschichte weltberühmt wurde, liegt am amerikanischen Reporter Sebastian Junger. Aus den Berichten von Seeleuten, von Rettungskräften und Wissenschaftlern, aber auch den Erinnerungen der Familien im Fischerort an der Küste von Massachusetts hatte er einen realen Thriller geschrieben. Das Buch „Der Sturm“ wurde ein Weltbestseller (gibt es HIER im Online Buchladen von Ankerherz). Hollywood verfilmte diese Vorlage mit George Clooney und Mark Wahlberg in den Hauptrollen.
Ich stand an Deck, als der Kapitän an das Schicksal der Andrea Gail erinnerte, sah auf die Wellen. Und entdeckte eine Möwe, weit draußen, den ersten Vogel seit Tagen. Die Gänsehaut hatte nichts mit dem kalten Wind zu tun.
Stefan Kruecken, Jahrgang 1975, leitet mit seiner Frau Julia den von ihnen gegründeten Ankerherz Verlag (www.ankerherz.de). Vorher war er Polizeireporter für die Chicago Tribune und arbeitete als Reporter für Zeitschriften wie max, Stern und GQ von Uganda bis Grönland.