Die Resilienz und der Sturm. Im großen Ankerherz Jahresrückblick schauen wir ins Heckwasser von 2o23. Was hat uns bewegt? Was war los? Folge 1 von 12. Viel Spaß!
Resilienz ist ein wichtiges Thema zu Beginn des Jahres, Widerstandsfähigkeit, Durchhaltevermögen. Die Stimmung ist mies und Deutschland ist am Neujahrstag geschockt von der Gewalt, die Einsatzkräften entgegenschlug.
Auf Sylt planiert ein Hausbesitzer eine 372 Jahre alte Reetdachkate (und kommt am Ende weitgehend ungeschoren davon). Auf dem Humber stirbt ein Lotse, als er in die kalte Nordsee fällt, was wir zum Anlass nehmen, über diesen gefährlichen und anspruchsvollen Beruf zu berichten. Wir reisen für Recherchen nach Norderney und auf andere Inseln – und zum Betriebsausflug nach Granchester und Cambridge in England. Stefan fährt mit einem alten Kapitän zur Sturmwoche auf Sylt (HIER geht es zur Geschichte). Das Wetter passt perfekt ins Rahmenprogramm: ein Orkan zieht über den Norden, und während der Lesung heult der Wind um die Häuser von Westerland.
Die Kolumne, die ich für diesen Monat ausgesucht habe, behandelt das Thema Resilienz. Und erzählt von einem Kapitän, der sein Schiff auf keinen Fall aufgeben wollte.
Wofür es sich zu kämpfen lohnt
Wir alle sind momentan in einem großen Sturm unterwegs. Erst Corona, dann Russlands Überfall auf die Ukraine, und die Sorge vor den Folgen des großen Krieges in Europa: Inflation, Energiekrieg und die Befürchtung, dass die Dinge noch weiter eskalieren. Eine Verunsicherung ist spürbar. Wie immer in solchn Phasen versuchen radikale Parteien, diese Angst zu schüren und zu nutzen.
Ich habe mich gefragt: Wie kommen wir durch den Orkan? Als Familie, als Firma, als „ich“? Wer kennt sich mit Stürmen aus? Antwort: Alte Kapitäne. Darüber, was wir von ihnen lernen können, habe ich ein Buch geschrieben. Nach Interviews mit mehr als 160 alten Seeleuten behaupte ich: eine ganze Menge.
Die Weisheit der Kapitäne
Wie man sein Schiff vorbereitet, seine Leute richtig behandelt und Vertrauen ausstrahlt. „Wenn das Schiff stark ist, die Crew zusammenhält und ich keine schlimmen Fehler mache, kommen wir durch jeden Orkan“, sagte mir ein Trawler-Kapitän aus Bremerhaven.
Im Buch „Muss das Boot abkönnen“, geht es auch um Widerstandsfähigkeit. Darum, für etwas zu kämpfen, das wichtig ist. Eine Geschichte sticht dabei heraus, sie spielt im Januar 1952: Der Frachter „Flying Enterprise“ dampft von Hamburg nach New York. Westlich der Britischen Inseln gerät das Schiff in einen Orkan. Ladung aus Roheisen verrutscht und das Schiff legt sich stark auf die Seite.
Sieger ohne Happy End
Der Untergang scheint unausweichlich zu sein. Kapitän Hendrik Kurt Carlsen, ein Däne, Mitte 30, lässt ein „Mayday“ funken und seine Crew in Sicherheit bringen. Er aber bleibt an Bord.
Ein Schlepper kommt. Die Crew will Carlsen überreden, aufzugeben, doch der denkt nicht dran. Solange sein Frachter schwimmt, will er versuchen, ihn zu retten. Für ihn eine Frage der Prinzipien. Tag um Tag bleibt er – schließlich unterstützt von einem britischen Seemann – an Deck, während der Havarist nach Cornwall gezogen wird. Die Männer trotzen Kälte, Nässe und der permanenten Gefahr, unterzugehen.
Zeitungen aus aller Welt berichten auf den Titelseiten über den Kampf. Der Kapitän wird zur Symbolfigur in einer Zeit kurz nach dem Krieg, in der es um Durchhalten geht. Carlsen schafft es am Ende nicht ganz, das Happyend fällt aus. Kurz vor dem sicheren Hafen sinkt die „Flying Enterprise“ im Atlantik.
„Ich habe mein Bestes gegeben“, sagt der Kapitän. „Es war nicht zu ändern.“ Dann geht er schlafen.
Hunderte Journalisten warten auf ihn an Land. Die Zeitschrift „Paris Match“ widmet ihm einen Titel, und ein Hollywood-Studio bietet die für die damalige Zeit unvorstellbare Summe von 2,5 Millionen US-Dollar, um den 13-tägigen Kampf zu verfilmen.
Carlsen lehnt ab.