VON LEISEN HELDEN – Kapitäne erzählen

Von der Terrasse der Landkneipe „Zur Schleuse“, neben einem kleinen Leuchtturm gelegen, kann man beobachten, wie sich Schiffe die Elbe hinaufschieben. Schafe grasen am Rande des Dorfes Altenburg und die Sonne scheint aus einem tiefen Himmel, als wir den Kapitän treffen. Was Klaus Gerber erzählt, passt überhaupt nicht zur Idylle am Deich. 45 Jahre zuvor, im Juni 1963, hat er den Untergang des Trawlers „München“ überlebt, bei dem viele Fischer im Atlantik vor Grönland starben. Dem Kapitän – der damals noch ein Matrose war – stockt immer wieder die Stimme, als er sich erinnert. Wenn ihm Tränen in die Augen steigen, nimmt er einen Schluck aus der Kaffeemug.

Nach vier Jahrzehnten ist es das erste mal, dass er über die Katastrophe spricht.

„Seeleute reden nicht gerne“, sagt Gerber, „und noch weniger reden sie davon, was sie empfinden.“

 

Stürme, Wellen, Riesenkraken

27 Geschichten haben wir in dieser Anthologie zusammengetragen: traurige, haarsträubende, aber auch heitere. Wie im ersten Band „Orkanfahrt“ sammeln wir in „Wellenbrecher“ Abenteuer, die echt sind und wahr. „Unsere“ Kapitäne kamen durch einen Hurrikan und überlebten einen Tsunami, wurden von einem amerikanischen Flugzeugträger gerammt, von einer iranischen Rakete getroffen und von der norwegischen Küstenwache gejagt. Sie „entführten“ ein Kreuzfahrtschiff in die UdSSR, erlebten, wie ein DDR-Staatsratsvorsitzender beim Kombinatsbesuch mit skandalösen Algen konfrontiert wurde, kämpften gegen Piraten und gegen Riesenkraken oder verteidigten einen afrikanischen Hafen gegen Bösewichte. Sie ließen wegen schöner Frauen ihren Frachter fahren, berichten von Stasi-Spitzeln, die auf Trawlern ihr Unwesen trieben und schwärmen davon, wie stolz die Docker von London einst waren.

Nach jedem Interview – das in manchen Fällen einige Tage dauerte – schrieb ich die Geschichte auf und legte sie dem Kapitän vor. Jedes Wort in diesem Buch gehört dem Seemann. Was mich immer wieder faszinierte, war die Bescheidenheit, mit der die Männer selbst über unglaubliche Rettungsaktionen sprachen. Ein Kapitän, der ausgerechnet Niels Held heißt, riskierte Dutzende Male alles, um Schiffbrüchige aus einer tosenden Brandung zu retten. Danach befragt, zeigte er sich irritiert: „Was ist so besonders daran? Das hätte Sie doch auch so gemacht!“

Aus beinahe jedem Gespräch war herauszuhören, wie sich der Beruf mit einer besseren Technik, mit Satellitenortung und Containerfahrplan und einem Bordalltag in Vollautomatik veränderte. „Heutzutage würde ich nicht zur See fahren“, sagten die meisten Kapitäne, „die Romantik gibt es nicht mehr“. Kaum einer, der nicht eine Episode vom legendären Geiz der Reeder erzählte oder von Respektlosigkeiten wusste. Mit einem Tsunami musste Kapitän Weinack selbst fertig werden; als er aber sein Schiff stoppte, um frischen Fisch an Bord zu nehmen, meldete sich sofort jemand aus der Zentrale, der die Kursänderung auf dem Computer angezeigt bekommen hatte: „Was ist denn los, Kapitän?“

Glaube. Liebe. Hoffnung.

Für die Recherchen reisten der Fotograf Achim Multhaupt und ich von der Insel Amrum bis in die Hügel des Taunus und von der Einsamkeit Ostfrieslands bis an die Ostsee nahe Rostock. Auf Föhr (das man die „Insel der Kapitäne“ nennt) besuchten wir den Seefahrerfriedhof des Dorfes Süderende, auf dem Grabsteine die Lebensläufe der Walfänger und Segelschiffkapitäne erzählen und Kreuze, Herzen und Anker überall präsent sind. Da wussten wir, wie wir die Kapitel von „Wellenbrecher“ nennen wollten: „Glaube“, „Liebe“ und „Hoffnung“, nach Kreuz, Herz und Anker, den alten Symbolen der christlichen Seefahrt. „Die Kapitäne sind Haudegen“, schrieb der „Spiegel“ in einer Rezension von „Orkanfahrt.“ In „Wellenbrecher“ sind sie manchmal auch Helden. Leise Helden, die Boatpeople aufnahmen, Befehle missachteten, um Kriegsgefangene zu befreien, die bereit waren, alles für andere Seeleute in Not zu riskieren. Und die für ihren Mut nicht in den Schlagzeilen standen und die dafür nicht in den Schlagzeilen stehen wollen. Sie taten, was sie für richtig hielten, und sie rühmen sich nicht dafür.

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